KANBrief 3/20
Besonders auf internationaler Ebene mehren sich Normungsvorhaben im Bereich Personalmanagement. Welche Vor- und Nachteile eine solche Normung mit sich bringt und wie sie sich überhaupt auf Personalthemen übertragen lässt, diskutieren Harald Ackerschott, Obmann im Spiegelgremium Personalmanagement im DIN, Jan-Paul Giertz, Leiter des Referates Mitbestimmung und Personalmanagement der Hans Böckler Stiftung und Carsten Rogge-Strang, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands des privaten Bankgewerbes und Mitglied der KAN.
Carsten Rogge-Strang: Einheitliche Standards bieten vor allem dann Vorteile, wenn eine objektive Vergleichbarkeit gegeben ist – wie es zum Beispiel in der technischen Normung der Fall ist. Im Bereich Personalmanagement stößt die Aussagekraft bestimmter Kennzahlen aber an ihre Grenzen, wenn es um soziale Systeme geht. Dazu ein Beispiel: Im Halbfinale der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 war Deutschland dem Gegner Brasilien bei sämtlichen Kennzahlen wie Ballbesitz, Torschüssen oder Eckbällen unterlegen. Trotzdem gewann die deutsche Mannschaft haushoch mit 7:1 – weil sie den besseren Teamgeist hatte. Der hat sich aber in Kennzahlen nicht niedergeschlagen. Das ist auch das Hauptproblem der Normung im Bereich Personalmanagement. Schließlich ist die Kultur in Unternehmen ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Diese lässt sich aber nicht wirklich objektiv messen.
Harald Ackerschott: Die Zahl der Tore ist natürlich ebenfalls eine wichtige Kennziffer und spielt vor allem in Ihrem Beispiel eine wichtige Rolle. Denn das anschließende Finale hat Deutschland auch gewonnen. Es ist grundsätzlich schwierig, welche Kennziffern man bewertet und welche Schlussfolgerungen man daraus zieht. Die aktuellen Diskussionen und Entwicklungen resultieren ursprünglich aus der Initiative der US-amerikanischen Society for Human Resource Management (SHRM). Deutschland hatte sich mit weiteren Exportnationen bei der Abstimmung zu diesen Vorhaben in der International Standardisation Organisation (ISO) gegen die Projekte ausgesprochen, wurde aber überstimmt. Die internationalen Standards werden also geschrieben. Deshalb ist es wichtig, dass wir die deutschen Interessen mit gebündelter Stimme einbringen. Wir wollen die Schärfe der angesprochenen Vereinheitlichung aber ein Stück weit herausnehmen, indem wir eher Leitlinien als Normen anstreben.
Jan-Paul Giertz: Herr Ackerschott bringt es auf den Punkt: Normung im Bereich Personalmanagement findet trotz berechtigter Bedenken statt. Auch auf Arbeitnehmerseite gibt es großes Unbehagen bezüglich der Standardisierung von Personalmanagement. Einerseits haben wir Zweifel an der Objektivierbarkeit sozialer Systeme auf Grundlage einer prinzipiell technisch geprägten Normungslogik. Zudem sehen wir das Risiko einer Scheinobjektivität bei der Bewertung von Unternehmen im Rahmen von Kennzahlensystem, die vorgeben, international anwendbar zu sein – was sie aber bei genauerem Hinsehen häufig nicht sind. Um das Fußballbild aufzugreifen: Die Art, wie Unternehmen in Deutschland als Teams zusammenarbeiten, ist im internationalen Vergleich mitunter einzigartig, ebenso wie unser nationaler Regulierungsrahmen. Gegen eine Professionalisierung des Personalmanagements und auch eine Erhöhung der Strategiefähigkeit von Personalabteilungen wollen wir uns nicht stellen – nur darf es dabei nicht zu Konflikten mit anderen Regulierungsebenen kommen. Deshalb ist die Leitlinie bzw. die Educational Guideline, das für uns einzig akzeptable Normungsformat in diesem Bereich.
Rogge-Strang: Dieser Normungsgrundsatz ist bewusst sehr technikbezogen und hat im Bereich der technischen Normung absolute Berechtigung. Auf die Normung im Personalmanagement ist der Grundsatz in dieser Form aber nicht übertragbar. Denn die neuesten Erkenntnisse von personalwissenschaftlicher Forschung sind oft viel weiter entfernt von der betrieblichen Praxis als Forschungsergebnisse im technischen Bereich. Anders ausgedrückt: Maschinen diskutieren keine Veränderungen, Sozialpartner aber schon. Wenn – wie in einigen Normungsvorhaben der Fall – undifferenziert Höchststandards festgeschrieben werden sollen, dann ist das nicht Grundlage der Gestaltung von Arbeitsbeziehungen, die üblicherweise auf Mindestbedingungen abstellt. Aber es passt sehr wohl der Normungsgrundsatz der Sachbezogenheit, nach dem auch das gesellschaftlich Akzeptierte widerzuspiegeln ist. Wenn wir das in der Normung zu Personalthemen berücksichtigen, wäre viel gewonnen.
Ackerschott: Hier möchte ich Herrn Rogge-Strangs Ausführungen etwas differenzieren. Richtig ist sicher, dass etwas anders als bei der ISO, der DIN-Normungsansatz eher der ist, die praktische Verbreitung mit einzubeziehen. Der Stand der Wissenschaft steht hier nicht unmittelbar im Fokus. Grundsätzlich möchte ich aber den Technikbegriff etwas erläutern: Da sind wir im Verständnis in Deutschland als Land der Ingenieure schon sehr reduziert auf Bereiche wie Elektrotechnik, Maschinenbau. Im Englischen kann "technical" auch "fachlich" bedeuten, egal in welcher Disziplin. Da hat sogar die Psychologie eine Technizität. Eine persönliche Anmerkung in Bezug auf dieses Verständnis: Es stößt mir sauer auf, wie Human Resources (HR) mitunter die Wissenschaft ignoriert. Es gibt Erkenntnisse in den Arbeitswissenschaften und der Psychologie, die von der Praxis weitgehend außer Acht gelassen werden. Hier würde ich mir an vielen Stellen eine Normung wünschen, die das Dienstleistungswirrwarr ein Stück weit eingrenzt. Und das berührt nicht die Kernverantwortlichkeiten der Sozialpartner.
Rogge-Strang: Die Abgrenzung zum Bereich der Sozialpartner ist wirklich wichtig. Denn sie sind neben dem Staat die gesetzlich legitimierten Normsetzer im Bereich der Arbeitsbeziehungen. Hinter Arbeitsgesetzen und Tarifverträgen stehen immer fachliche und politische Aushandlungsprozesse hochkompetenter Akteure, die sich auch ihrer Gesamtverantwortung bewusst sind. Dieses Handlungsfeld betreten in der Normung zu Personalthemen immer mehr Akteure, die Partikularinteressen vertreten. Das macht es schwierig.
Giertz: Wissenschaftliche Evidenz ist eine Voraussetzung wirksamer und sachbezogener Regeln. Und da resultieren viele Normungsinitiativen eher aus Managementbefragungen großer Beratungsfirmen, anekdotischer Evidenz und vor allem geschäftlichen Einzelinteressen von Beratern im Bereich Personalmanagement. Von den zunehmenden geopolitischen Interessen in der Normung ganz zu schweigen. Mehr Wissenschaftlichkeit wäre da gut – und das heißt auch: Einfach mal nicht standardisieren wenn man noch nicht genug weiß. Ich möchte aber zugleich davor warnen, die vorliegenden internationalen Forschungsergebnisse im Bereich Human Resources für allgemeingültig zu erklären – die Dominanz aus dem angelsächsischen Raum schränkt die praktische Übertragbarkeit bei uns häufig ein, wie Herr Rogge-Strang richtig bemerkt hat. Normung muss also zugleich evidenzbasiert und praxisorientiert, das heißt in einem bestimmten Umfeld funktional sein. Das ist bei internationalen Normungsinitiativen aus unserer Sicht häufig nicht der Fall.
Ackerschott: Normung hat zwei Seiten: Eine ist die Information mit Blick auf den Stand der Wissenschaft und Technik. Die andere ist die Vereinheitlichung – technisch ganz einfach ausgedrückt muss der Stecker in die Steckdose passen. Sobald man aber Unternehmer in ihrem Handlungsspielraum mit Normen einengt, sollten wir ganz genau hinschauen. Wenn an manchen Stellen die Überlegungen zu weit gehen, könnte man stattdessen auch Selbstverpflichtungen in Erwägung ziehen. Grundsätzlich kann Normung aber wichtige Informationen von seriösen Urhebern für eine breite Öffentlichkeit zugänglich machen. Und um Herrn Giertz Argument an dieser Stelle zu unterstützen: Seine Ausführungen zur Evidenzbasierung beschreiben insgesamt unsere deutsche Position, und dies ist der wichtigste Grund, warum Deutschland sich international überhaupt so stark engagiert und beteiligt.
Rogge-Strang: Wenn es darum geht, etwa ein gemeinsames Verständnis und Definitionen zu bestimmten Personalthemen zu entwickeln, kann Normung durchaus einen ergänzenden Beitrag zur Regulierung und Gestaltung der Arbeitsbeziehungen leisten – aber nicht darüber hinaus. Die Grenze der Normungsarbeit verläuft dort, wo sie die typischen und gesetzlich herausgehobenen Handlungsfelder der Sozialpartner berührt, insbesondere Arbeitszeit, Vergütung und Arbeitsorganisation. Das gesamte System der Regulierung von Arbeitsbeziehungen ist sorgfältig austariert und sorgt damit für sozialen Frieden und Stabilität. Das muss die Normung zu Personalthemen berücksichtigen, und das ist – jedenfalls für uns – der Hauptgrund für unser Engagement, weniger die Evidenzbasierung.
Rogge-Strang: Gemessen an ihrer Bedeutung spielen die Sozialpartner vor allem international eine deutlich zu geringe Rolle. Das liegt insbesondere daran, dass Vertreter von Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und Gewerkschaften, die tausende Unternehmen und Millionen von Beschäftigten repräsentieren, in Normungsgremien dasselbe Stimmgewicht haben wie ein einzelner Personalberater. Deshalb hat ein deutscher Konsens, der im Sinne der Sozialpartner ist, auf internationaler Ebene kaum einen Wert. Dann gibt es Länder ohne sozialpartnerschaftliche Strukturen, die internationale Normung als Regulierungsebene nutzen. Das treibt mitunter absurde Blüten, zuletzt mit einem Normungsvorhaben aus dem Iran zu Vergütungssystemen, das höchst fragwürdige Ansätze zur Tätigkeitsbewertung enthält. Das berührt in Deutschland den Kern unserer Tarifautonomie.
Giertz: Richtig. Ein wirklich markantes Beispiel der ‘Übergriffigkeit‘: Es ist uns Gewerkschaften auf europäischer Ebene selbst durch eine Protestnote des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB) nicht gelungen, dieses Normungsvorhaben zu stoppen. Aber wir sind international nicht ganz untätig. Der EGB hat seit einiger Zeit eine Beobachterrolle im TC 260, eine sogenannte Liaison. Diese Rolle, die meine Kollegen in Brüssel kenntnisreich und mit viel Engagement ausfüllen, ist extrem anspruchsvoll, da sie die Standpunkte unterschiedlicher Gewerkschaftsorganisationen vertreten müssen. Hinsichtlich der Vergütungssysteme waren die Positionen da sehr ähnlich, das ist aber nicht bei jedem Normungsvorhaben so. Was in Deutschland als ‘übergriffig‘ angesehen wird, kann in anderen europäischen Ländern auf den ersten Blick als Problemlöser wahrgenommen werden. Wenn ein nationaler Regulierungsrahmen in Bezug auf Arbeitsbedingungen lückenhaft ist, kann auch ein Gewerkschafter einer internationalen Norm etwas abgewinnen. Das zeigt aber erneut das grundlegende Problem der Nicht-Vergleichbarkeit auf.
Ackerschott: Die Frage nach den Sozialpartnern ist immens wichtig. Aber gerade im Bereich Personalmanagement würde ich mir in den internationalen Normungsgremien noch mehr Engagement seitens der Sozialpartner wünschen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass es sich um eine US-amerikanische Initiative handelt. Ein wirklicher Einfluss lässt sich vor allem in den internationalen Arbeitsgremien ausüben. Dort bringen sich Expertinnen und Experten unabhängig von einem nationalen Mandat mit ihrer Expertise in die Ausgestaltung ein. Einzelne Vertreter zeigen bereits sehr großes Engagement und ich würde mir eine solche Beteiligung von noch mehr Expertinnen und Experten wünschen.
Ackerschott: Eigentlich ist das international keine aktuelle Diskussion. Unter deutschem Einfluss wurde zuletzt eine Position erarbeitet, die Arbeit auf Leitlinien zu konzentrieren. Wir merken aber, dass einzelne Akteure auf internationaler Ebene durchaus an Normen interessiert sind, die auf eine Zertifizierung abzielen. Daher haben wir die Diskussion in Deutschland erneut angestoßen, um Klarheit für unsere Positionierung zu schaffen. Mit dem Ergebnis, dass wir konkret auf Zertifizierung zielende Normen im Personalmanagement weiterhin nicht im Fokus haben.
Und was wir alle nicht vergessen dürfen: HR-Themen werden bereits auch durch die Hintertür des Qualitätsmanagements in Normen beschrieben, und dort haben sie höhere Verbindlichkeit bei geringerer Sachkenntnis der Autoren zu sozialen Systemen und zu menschlichem Verhalten. Das ist noch einmal eine besondere Mischung.
Giertz: Ich habe unsere rote Linie hinsichtlich des Normungsformates bereits angesprochen. Soziale Systeme sind anders zu managen als technische Abläufe. Hier sollte es auf der Ebene der Unternehmen auch Freiheitsgrade geben – ganz so, wie wir es in der sozialpartnerschaftlich geprägten Arbeitspolitik betreiben. Normung darf hier allenfalls unterstützende Funktion haben.
Rogge-Strang: Aus Sicht der Sozialpartner würde ich es sehr begrüßen, wenn es bei den Leitlinien bliebe. Ansonsten würden der bürokratische Aufwand und der Zertifizierungsdruck besonders bei kleinen und mittleren Unternehmen enorm steigen. Dem steht kein angemessener Nutzen gegenüber. Und in der Tat wäre es wichtig, die Normung zu Personalthemen auch in anderen Normungsfeldern auf Leitlinien zu begrenzen, etwa im Qualitätsmanagement mit Fokus Arbeitsgestaltung, in der Ergonomie oder im Bereich der gesellschaftlichen Verantwortung. Da liegt noch viel Arbeit vor uns.